Zwischenheimat
Shoukri liegt auf dem Rücken und starrt zur Decke. Habe ich wirklich Aussichten hier in Deutschland? – fast zwei Jahre schon – Wenn ich wenigstens arbeiten dürfte! Dieses Nichtstun macht mich noch kaputt –
Die Autowerkstatt im Hinterhof in der Hitze von Bagdad – der Geruch nach altem Motorenöl, Lack und Schweißarbeiten – das Lachen und die Scherze der Kollegen, wenn wir gemeinsam Siesta hielten unter dem Sonnensegel –
Das Stockbett knarrt und vibriert. Unter ihm dreht sich Abdull auf die andere Seite. Die beiden anderen Zimmergenossen hören Musik und unterhalten sich arabisch. Von draußen dringt Straßenlärm herein.
– wie daheim – vertraut –
Dieser Fleck an der Decke – so einen hatte ich zuhause auch. Nun ist die Decke mit dem Haus eingestürzt. Ob ich den Mond sehen könnte, wenn ich dort läge, wo ich immer meine Matratze ausrollte? Der Mond – zuhause liegt die Sichel, hier steht sie aufrecht – wenigstens Bomben oder Schüsse höre ich hier nicht. Der Sternenhimmel in Bagdad ist viel näher. Die Sterne leuchten stärker. Nachts traf sich die ganze Familie auf dem Dach und hoffte auf Abkühlung. – der gemeinsame süße Tee – die lebhaften Gespräche bis tief in die Nacht – immer war Familie da, man war nie allein.
Ein Lastwagen lässt die Fensterscheiben des alten Hauses klirren. Abdull dreht sich und schnarcht leise.
Nachts schleppte die ganze Familie die Matratzen auf des Dach, damals, als Vater noch lebte, damals, bevor die Bomben fielen. Vater erzählte die Neuigkeiten aus seinem Friseurgeschäft, auf das er so stolz war. Für die Familie sorgen zu können, das gab ihm Würde.
Jamal sucht einen anderen Sender im Radio. Es rauscht und knackt. Abdull stöhnt im Schlaf.
Am Schönsten war es, wenn Vater von Alibaba und den vierzig Räubern erzälte bis wir Kinder einschliefen. An den Schluss kann ich mich bei fast keiner Geschichte erinnern, ich schlief einfach ein. – Shoukri lächelt – Karawanen, die durch die Glut der Wüste zogen, Menschen im Sandsturm, geraubte Prinzessinnen und tapfere Krieger –
Shoukri dreht sich. Seine Augen wandern zu dem Fleck an der Decke zurück
– die Gebetsrufe von den Minaretten in den Stadtvierteln umher – in Deutschland läuten Glocken – inzwischen wache ich nicht einmal mehr auf von ihrem Geläute – meine Mutter, meine Geschwister, ich vermisse sie so! Ob sie noch leben? Kein Kontakt seit einem halben Jahr! Dieser Schmerz in der Brust – dumpf – stechend – die Flucht – nur nicht daran denken! Das letzte Mal habe ich bei der Anhörung davon gesprochen und dann bei der zweiten noch einmal. Weshalb nur diese Ablehnung? Weshalb glauben die mir nicht? Ich bin Sunnit. Sollen die doch mal als Sunniten in Bagdad ein Geschäft betreiben mitten unter diesen Schiiten! Meinen Bruder Hafiz haben sie mir schon genommen – Mörderbanden! – Mein Bruder! – Sie haben mich auch bedroht. Ich bin tot, wenn ich dorthin wieder zurück muss. –
Wieder knarrt das Bett, während Abdull sich dreht. Er atmet tief.
Was er wohl jetzt erlebt im Traum? Manchmal schreit er.
Stockbetten – in der Turnhalle am Anfang waren Stoffwände zwischen ihnen gespannt. Schubladenmenschen! Mein Privatraum sind die beiden Quadratmeter in meinem Bett. In Bagdad lebte ich mit meiner Familie in einem Haus. Mein Leben passt nun zwischen zwei Aktendeckel in der Schublade eines Amtes.
Ich war so dankbar, als ich hier ankam, selbst in der Zeit in der Turnhalle und jetzt hier. Ich will so viel zurückgeben, arbeiten, helfen, Freunde finden, wenn man mich lässt, vielleicht eine Familie gründen, ein ganz normales Leben halt! Ohne Familie ist ein Mensch nur ein verlorenes Sandkorn. Langsam bin ich mürbe, werde immer trübsinniger. – endlich arbeiten dürfen! –
Deutschkurs, einkaufen, Ämter – planlos durch den Ort laufen, manchmal Fußball, Flüchtlingskaffee – ich brauche Arbeit!
Abdull dehnt sich und atmet tief.
Zum Glück gibt es hier freundliche Menschen, die mir helfen. Ich hätte sonst noch mehr Probleme mit der Sprache und mit den Ämtern.
Es gibt auch andere: Deutschland den Deutschen! – Ausländer raus! – Islamisten! – Beleidigungen in der U-Bahn! – dann diese ganzen Ämter!
Registrierung, Ankunftsnachweis, Umverteilung, Asylantragsstellung, Dublinverfahren, Anhörung, Duldung, Deutschkurs, Arbeitserlaubnis, Abschiebungsverbot, subsidiärer Schutz, Anerkennung des Flüchtlingsschutzes, Anerkennung der Asylberechtigung, Aufforderung zur Ausreise, Abschiebung, Angst – warten – warten – Diese Deutschen setzen ganz andere Schwerpunkte. Das mit der Pünktlichkeit habe ich ja kapiert, aber Kinder und Familie sind ihnen nicht so wichtig. Die vielen Regeln und Gesetze! Manchmal werden sie so angewendet und manchmal so. Der eine bekommt den Aufenthalt und der andere aus demselben Land wieder nicht. Ich verstehe es nicht – warten – die Zeit totschlagen – wenigstens kein Krieg! –
Mein Heim ist, wo mein Bett steht – Existenz auf der Parkspur – Leben ist vorher und nachher –
hoffentlich.